Katholischer Gesellenverein Mergentheim von 1857 bis 1957
Gesellenfahne-vorne Am 2. Februar 1857, zu einer Zeit, da unsere Pfarrgemeinde wohl kaum mehr als 3000 Katholiken zählte, war es soweit, dass in unserer Diözese neben Ulm (gegründet 1852) der Gesellenverein auch in unserer Stadt Fuß fassen konnte. Die Chronik berichtet, dass neben den namentlich genannten Gesellen Hehr und Dörr weitere 24 Gesellen sowie 10 Schutzmitglieder (ehrbahre Bürger der Stadt) bei der Gründungsver-sammlung unter Präses Vikar Wilhelm Hofmann zugegen waren. Als ein kostbares Kleinod hütet die Kol-pingsfamilie die Gründungsurkunde, die vom Gesellenvater Adolph Kolping persönlich unterzeichnet ist. Ein Brief Kolpings vom 20. Februar 1857 an den Gesellenverein Mergentheim, den der Chronist erwähnt, ver-mutlich als Begleitschreibens zur obengenannen Gründungsurkunde, ist in den Archiven leider nicht mehr auf-findbar.Wie so oft mögen es zugereiste Gesellen gewesen sein, vermutlich aus dem nahen Würzburg, die auch hier dem Werke Kolpings Eingang verschafft haben. Von Seiten des Oberamtes und der Stadt Merg-entheim wurde die Gründung des Gesellenvereins sehr begrüßt und es wurden ihm zur Durchführung seines Programmes Zuschüsse gewährt. Nur war die große und bange Frage: Wo kann der neugegründete Verein eine Heimstatt finden? Zunächst hatte sich der Verein von 1857 - 1861 im Hause der Witwe Mühling in der Krummen Gasse eingemietet und eine Gesellenstube eingerichtet, so dass die Gesellen nun wussten, wo sie am Abend nach getaner Arbeit ihre Freizeit verbringen konnten. Dort lagen u.a. auch die von Kolping her-
ausgegebenen "Rheinischen Volksblätter" auf, die den Anschluss an den Zentralverband und die Verbindung mit anderen Gesellenver-einen förderten. Jeweils am Sonntagabend fanden in der Gesellenstube die Versammlungen statt. Die Vorträge die meistens der Präses hielt behandelten in der Regel religionsethische, soziale, berufskundliche, politische, wirtschaftliche sowie kirchliche Gegenwartsfragen. Das rasche Anwachsen der Mitgliederzahl, insbesondere die Zahl der Schutz- und Ehrenmitglieder, die lange Zeit hindurch den Verein auch in finanzieller Hinsicht trugen, machte einen Wechsel des Vereinslokal notwendig. Nach einem kurzen Aufenthalt im Hause Schaf-fizel im Reichengäßle konnte bei Bierbrauer Saufler, (heute Grund- und Mädchenrealschule St. Bernhard) eine neue Bleibe für die Ge-sellen gefunden werden. Es standen dem Gesellenverein zwei Räume zur Verfügung, von denen der kleinere als Bibliothek und Lese-zimmer während der Woche und der andere als Versammlungs- und Schulungsraum verwendet wurde. Nun war endlich die Möglich-keit geboten, auch die berufsbildende Arbeit mehr voranzutreiben. An vier Abenden in der Woche versammelten sich die Gesellen zum
Zwecke der beruflichen Weiterbildung in der Gesellenstube, wobei Singen, Rechnen, Gewerbliche Aufsätze und Zeichnen in buntem Reigen miteinander abwechselten. Die Deklamationen, der Vortrag von Gedichten und Sinnsprüchen, auch von Dialogen in szenischer Form, welche die Versammlungen fast immer umrahm-ten, waren Sprecherziehung von großer Bedeutung für die späteren vielfachen Theateraufführungen. Hierzu eignete sich ab 1872 besonders das neue Vereinslokal im Gasthof "Zur Rose" mit seinem großen Saal. Aber nicht nur auf dem Gebiete des Laienspiels sondern auch durch seine sonstige Arbeit und Regsamkeit hatte sich der Mergentheimer Gesellenvereinin dieser Zeit einen guten Namen gemacht. So konnte er in stolzer Freude im Jahre 1907, am 29. und 30. Juni das "Goldene Jubiläum" begehen. Zu dieser Jubelfeier waren schon am Samstag ca. 30 auswärtige Vereine erschienen. Die gastgebenden Gesellen hatten durch die feine Gestaltung des Festprogrammes, die Ausschmückung der Turnhalle und die theatralischen Darbietungen wieder einmal mehr bewiesen, dass sie es verstehen Feste zu feiern. Noch lange hatte dieses Fest, in dem sich die Gesellen mit Eifer für die Sache Kolpings einsetzten, ein gutes Echo hinterlassen, was besonders auch die Feier des 100. Geburtstages des Gesellenvaters bewiesen hat. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges brachte auch für die Arbeit des hiesigen Gesellenvereins erhebliche Erschwerungen. Viele der Mitglieder wurden zu den Waffen gerufen. Die Versammlungen wurden, wenn manchmal auch nur mit 14 Gesellen und Gesellenfahne-hinten
einigen Schutz- und Ehrenmitgliedern weitergeführt.Ganz besonders groß war die Freude immer, wenn einer der einberufenen Gesellen auf Heimaturlaub weilte und in den Versammlungen von seinen Kriegserlebnissen berichtete. Nach Rückkehr der Ausmarschierten, die dem Verein an der Front und in der Heimat die Treue bewahrt hatten, konnte die Arbeit wieder in vollem Umfang aufgenommen wer-den. Der feste familiäre Zusammenschluss und Zusammenhalt der Gesellen im Sinne seines Gründers war in dieser Zeit der beginnen-den Parteizersplitterung des Volkes nötiger den je. Im Geiste des Gesellenvaters giengen nun die Gesellen an die Erfüllung der Aufga-ben heran, welche die Nachkriegszeit, eine für das Volk schwere Zeit, mit sich brachte.1927 dürfte der Gesellenverein mit 300 Mit-gliedern und Ehrenmitgliedern zahlenmäßig der größte Verein in unserer Stadt gewesen sein.Exerzitienkurse im St. Rochusstift, an den-en sich die Gesellen immer gern beteiligten, halfen, das angestrebte Ziel vom tüchtigen Christen leichter zu verwirklichen. Um politi-schen Schwierigkeiten zu entgehen, beschloss die Deutsche Zentralversammlung im September 1933 in Köln den "Katholischen
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Gesellenverein" in "Deutsche Kolpingsfamilie" umzubenennen. Der 22. Juni 1931 war ein bedeutsamer Tag in der Mergentheimer Vereinsgeschichte. Es war der Tag der Einweihung des "Kolpingheimes" beim Deu-tschen Hof in der Zaisenmühlstraße. Zum ersten Mal erklang beim Festgottesdienst in der Stadtpfarrkirche das Kolpin-Grablied. Im Anschluss an den Gottesdienst wurde die Weihe des Heimes vorgenommen. End-lich hatte der Verein ein eigenes Haus, das einen großen Versammlungsraum und für durchreisende und durchwandernde Gesellen genügend Wohnungen enthielt. Leider haben die widrigen Verhältnisse im 3. Reich und andere Umstände der Kolpingsfamilie auch hier keine dauernde Bleibe gelassen. Ein weiterer Höhepunkt in der Geschichte des Gesellenvereins war die unter reger Teilnahme der Bevölkerung und auch einiger auswärtiger Brüdervereine begangene 75-jährige Jubelfeier am 25. und 26. Juni 1932. Der Chronist schreibt hierzu: "Über der ganzen Feier lag des Himmels Segen. Sie entfaltete sich auf einer gewissen geis-tigen Höhe und machte in der ganzen Stadt, auch bei Andersgläubigen und den vielen Kurgästen, besten Eindruck und hat unserer Kolpingssache wieder neuen Auftrieb gegeben". Von Köln war zu diesem Fest Generalsekretär Dr. Nattermann erschienen, der die Festpredigt hielt und auch bei einer Feierstunde am Nachmittag nochmals das Wort ergriff. Am politischen Himmel war das Wetterleuchten des kommenden Nationalsozialismus schon sehr deutlich zu erkennen. Das folgende Jahr 1933 zieht auch schon einige junge
und fähige Führungskräfte aus dem Gesellenverein heraus, die in das andere Lager hinüberwechselten. Der große Gesellentag in Mün-chen im Juni 1933 ließ dort die Stellungnahme, die die N.S.D.A.P. dem Gesellenverein gegenüber bezog, unmissverständlich erkennen. Es folgten bereits de ersten Verhöre durch den Kreisleiter bei den hiesigen Teilnehmern vom Münchner Gesellentag. Bereits am 2. Juli 1933 wird dem Präses von einer Verfügung des Innenministeriums Mitteilung gemacht, wonach sämtliche katholischen Vereine aufge-hoben und deren Vermögenswerte beschlagnahmt wurden. Daraus ergibt sich die Umbenennung in Kolpingsfamlie. Am 3. Dezember 1933 wurde der 1. Kolping-Gedenktag begangen.Kluge Vorsicht geboten dem Chronisten in den Jahren von 1933 an,nur noch die kirchlichen Feiern und Veranstaltungen zu vermerken. Eine Wallfahrt zum Grab des Gesellenvaters im August 1934 gab allen Teilneh-mern wieder neuen Mut, so dass sie sich trotz aller Anfechtungen wieder ganz für die Sache Adolph Kolpings einsetzten. Am 25. April 1937 konnte die Kolpingsfamilie in schlichter, würdiger Weise ihren 80. Geburtstag begehen. Zur Feier waren Diözesanpräses Vogel

und der Leiter des Stammbuchamtes der Kölner Zentrale, Theo Hötter, erschienen. Besonders die Worte des Diözesanpräses über das unersetzliche große Werk Adolph Kolpings gaben allen wieder neuen Mut und Freude zur weiteren unverdrossenen Mitarbeit. Wenn das 80-jährige Stiftungsfest wegen der Ungunst der Zeitverhältnisse zwar an äußerlichem Glanz den früheren Jubiläen nachstand, so hat es diese doch an Würde, Wert und Geschlossenheit übertroffen. Mit dem Ausbruch des 2.Weltkriges wurde wieder der größte Teil der Gesellen zu den Waffen und zum Arbeitsdienst gerufen, so dass oft nur zwei oder drei Mitglieder in Bad Mergentheim weilten. Darum wurde die Gründung einer Gruppe Jung-Kolping notwendig, die das Kolpings-banner aus den Händen der einberufenen Gesellen übernahm und weitertrug durch die schwere Zeit.Oftere Hausdurchsuchungen durch die Gestapo machten es notwendig, Mitgliederverzeichnisse, Chronik und alle sonstigen Aufzeichnungen während des "Tausendjährigen Reiches" in Sicherheit zu bringen. Die Kolpings-familie musste in dieser Zeit ein regelrechtes Katakombendasein führen. So trafen sich die Gesellen trotzdem regelmäßig im Kolpingheim, dann in Privathäusern, in der Dachstube von Bäcker Weiß, im Gesellenstüble bei Klingert und in der Bücherei im Spital. So lebte sie als einzige katholische Organisation trotz Krieg und Verfolgung durch den Natio-nalsozialismus unverdrossen fort. Die meisten Kolpingssöhne hielten dem Gesellenverein die gelobte Treue die Not und der Kampf hatte sie zusammengeschweißt. Das Jahr 1945

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brachte das Ende des Krieges und der Kolpingsfamilie wieder die ersehnte Freiheit. Wohl als erster Verein trat die Kolpingsfamilie 1947 an die Öffentlichkeit. Unter großer Beteiligung konnte sie ihr 90-jähriges Jubiläum feiern. Gäste waren Diözesanpräses Vogel, Prälat Braun aus Bonn, eine Vertretung der amerikanischen Militärregierung sowie etwa 550 Freunde aus Baden, Bayern und Württemberg. Allen konnte ein Vesper ohne Lebensmittelmarken gegeben werden. Die Kolpingsfamilie hat aber nicht nur wieder Feste gefeiert, sondern sich auch an die Aufgaben herangemacht, die ihr die Zeit stellte. Unter dem Motto "Tätige Liebe heilt alle Wunden" hat sie den Fliegergeschädigten und Ortsvertriebenen geholfen,soweit es in ihren Kräften stand. Einkehrtage, religiöse und lebens-kundliche Vorträge sowie durchgeführte Eheseminare sollten den Mitgliedern wieder helfen, die großen Ziele des Gesellenvaters zu verwirklichen.Die Kolpingsfamilie Bad Mergentheim kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken, wahrhaftig "ein zur Bewunde-rung stimmendes Kapitel göttlicher Vorsehung".

(Aus der Chronik, geschrieben zum 100-jährigen Jubiläum 1957. Verfasser unbekannt)